Es kann ja mit dem Lesen und den Lesefrüchten eine besondere Bewandtnis haben. Man stelle sich einen kleinen oder sehr großen Politiker vor, einen Promi aus der Wirtschaft oder einen Menschen, der mit Hilfe von Reichtum oder Wortgewalt zu einem "Mächtigen" geworden ist. Man bezieht das Lesen der Klassiker der Belletristik oder die Lesefrüchte auf eben diesen sich vorgestellten Promi (".... Ach, wenn der doch solche Literatur lesen würde, dann wäre seine Politik eine ganz andere ...") und versucht nun logische Schlüsse daraus zu ziehen. Fantasie muss her, und schon leben wir in einer schönen neuen Welt. - In einer schönen imaginären Welt. Realisierbar ist sie vielleicht nicht,  aber Lesefrüchte deswegen auf den Komposthaufen der Geschichte zu werfen, das wäre doch zu schade. - Geben wir sie doch wenigstens unseren Kindern, die Vitamine für die Seele.


Über das Leben.

Eine Pflanze, ein Tier und ein Mensch haben eine begrenzte Zeit des Seins; des Lebens. Und es besteht für kein Lebewesen die zwingende Notwendigkeit in dieser Zeit des Seins an ein überirdisches Wesen zu glauben; an etwas zu glauben, was sich der Wahrnehmung unserer Sinne entzieht, an einen Schöpfer allem Irdischen.
Ich höre dennoch sehr gern die Musik von J.S.Bach. Zum Beispiel, wie gerade eben: "Schafe können sicher weiden".
Von welcher Musik man sich angezogen fühlt, welche Musik einen Menschen berührt, ist sehr unterschiedlich und sollte keinesfalls ein Kriterium für den Wert eines Menschen sein.
Ebenso sollte ein sogenannter "religiöser Mensch", der sich den christlichen Glauben angeeignet hat, nicht geringschätzig einen Atheisten betrachten. Das heißt, ein Christ sollte keinesfalls einen Atheisten als einen Menschen betrachten, der weniger wert ist, als er selbst.
Eine Pflanze, ein Tier, ein menschliches Kind, ein jeder Mensch, haben in der Natur eine absolut gleiche Wertigkeit.
Dennoch habe ich manchmal - das nicht unbegründete -  Gefühl, von Christen mitleidig belächelt zu werden. Gerade so, als würde mir die wichtigste Voraussetzung für mein zeitlich begrenztes Sein fehlen. Gerade so, als fehlte mir mit dieser Voraussetzung auch ein wichtiger Teil meiner Daseinsberechtigung.

Auch das "Lebensglück", die Länge des Lebens und die Gesundheit sind in beiden Fällen - gläubig oder nichtgläubig - schlicht und einfach gleich. Es gibt keine signifikanten Unterschiede. Unterschiede gibt es nur in der Nutzung des Glaubens: Für den armen und kranken Menschen ist der Glaube ein Trost und der gewisse "Strohhalm", - was besonders gut bei F.M.Dostojewski zum Ausdruck kommt.
Für den Reichen ist es die Entschuldigung, dass ihm das menschliche Gefühl für die materielle Ungleichheit abhanden gekommen zu sein scheint. Auch dazu eignen sich die Werke Dostojewskis, wie auch vieler anderer Autoren der Weltliteratur.

Um das ganze ein wenig zu aktualisieren: Auch ein Staatsmann, dem die Belletristik zur Gewohnheit wurde, unterscheidet sich in seinem Denken und Handeln von dem, dessen Belesenheit eher zu Wünschen übrig lässt, oder dessen Freizeitaktivitäten sich auf das Golf spielen beschränken.



Jane Austen (1775 - 1817)

"Stolz und Vorurteil"   (S.Fischer, Frankfurt am Main, Februar 1999)

 

Seite 20 :    ...  Es kann wohl jemand stolz sein, ohne dabei eitel sein zu müssen. Stolz hat mehr mit der Meinung zu tun, die wir von uns selber haben, Eitelkeit dagegen mit der Meinung, die andere von uns haben sollen.
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Seite  103 :   ...  Frau Bennet läutete die Glocke und Fräulein Elisabeth wurde in die Bibliothek gerufen.
"Komm her, mein Kind", rief der Vater, als sie erschien. "ich habe dich wegen einer wichtigen Angelegenheit holen lassen. Soviel ich weiß, hat Herr Collins dir einen Heiratsantrag gemacht. Ist das wahr?" Elisabeth bestätigte es. "Na schön - und diesen Heiratsantrag hast du abgelehnt?"
"Ja Vater."
"Na schön. Da kommen wir also jetzt zu Sache. Deine Mutter besteht darauf, dass du ihn annimmst. Nicht wahr, Frau Bennet?"
"Ja, oder sie soll mir nicht vor die Augen kommen!"
"Da stehst du nun vor einem unglückseligen Zwiespalt, Elisabeth. Vom heutigen Tage an musst du von einem Elternteil als Fremdling betrachtet werden. Deine Mutter will dich nicht mehr sehen, wenn du Herrn Collins nicht heiratest, und ich will dich nicht mehr sehen, wenn du ihn heiratest."
(...)
"Was soll das heißen, Bennet, so daherzureden? Du hast mir doch versprochen, darauf zu dringen, dass sie ihn heiratet."
"Meine Teure", erwiderte ihr Gatte, "ich muss um zwei kleine Gefälligkeiten bitten: Erstens, dass du mir erlaubst, in der gegenwärtigen Angelegenheit freien Gebrauch von meinem Verstande zu machen; und zweitens, freien Gebrauch von meiner Bibliothek zu machen. Ich würde mich freuen, wenn ich mein Arbeitszimmer sobald als möglich wieder für mich haben könnte."
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Charlotte Brontë (1816 - 1855)

"Der Professor"  ( insel taschenbuch 1354 - Insel Verlag Ffm und Leipzig 1991)

 

(Die Situation: Ein englischer Lehrer, der in einem Brüsseler Mädchenpensionat Englisch lehrt. Die Hospitation des Unterrichts durch die Direktorin war Normalität und diente darüber hinaus der Erhaltung der Disziplin.  - Anm. Otto F.)

 

Seite 152 :  ....

Der Verstand war mein Arzt:  Er begann damit, dass er nachwies, dass die Siegestrophäe, die ich verfehlt hatte von geringem Wert war. Er gab zu, dass Zoraïde mir rein äußerlich vielleicht gefallen hätte, aber er versicherte mir, dass sich unsere Seelen nicht im Einklang befanden und dass sich aus der Vereinigung ihres Geistes mit dem meinen zwangsläufig Zwietracht ergeben hätte.  Dann bestand er auf der Unterdrückung alles unzufriedenen Selbstmitleids und befahl mir statt dessen, mich darüber zu freuen, dass ich den Stricken einer Falle entkommen war. Seine Arznei tat mir gut. Ich fühlte deren kräftigende Wirkung, als ich am nächsten Tag die Direktorin traf. Der starke Effekt auf die Nerven hielt an:  kein Zittern, kein Stocken; ich war in der Lage ihr mit Festigkeit gegenüberzutreten und mit Leichtigkeit an ihr vorüberzugehen. Sie hatte mir die Hand hingestreckt - die ich nicht zu sehen beliebte. Sie hatte mich mit einem bezaubernden Lächeln begrüßt - das in mein Herz fiel wie Licht auf einen Stein. Ich ging weiter zu meinem Podium, und sie folgte mir. Ihr Blick war auf mein Gesicht geheftet und verlangte von jeder Linie die Bedeutung meines veränderten und gleichgültigen Verhaltens. "Ich werde ihr eine Antwort geben", dachte ich, und indem ich ihrem Blick uneingeschränkt begegnete, ihn festhielt und sie fixierte, warf ich ihr aus meinen Augen einen Blick zu, in dem kein Respekt lag, keine Liebe, keine Zärtlichkeit, keine Galanterie; wo selbst bei genauester Analyse nichts als Verachtung, Dreistigkeit und Ironie zu entdecken waren. Ich zwang sie ihn zu ertragen und es zu spüren. Ihre gleichmütige Kontenance veränderte sich nicht, aber ihre Gesichtsfarbe wurde intensiver, und sie kam wie fasziniert auf mich zu. Sie betrat das Podium und stellte sich dicht neben mich. Sie hatte nichts zu sagen. Ich wollte sie nicht von ihrer Verlegenheit und Verwirrung erlösen und blätterte deshalb nachlässig in einem Buch.

"Ich hoffe, Sie fühlen sich heute gut erholt", sagte sie mit leiser Stimme.

"Und ich, Mademoiselle, hoffe, dass Sie sich letzte Nacht nicht erkältet haben, als Folge Ihres späten Spaziergangs im Garten."

Mit ihrer schnellen Auffassungsgabe verstand sie mich sofort. Ihr Gesicht wurde eine Idee bleicher, wirklich nur eine Idee, aber kein Muskel in ihren eher markanten Zügen bewegte sich; und ruhig und beherrscht verließ sie das Podium, nahm gelassen nicht weit weg von mir Platz und beschäftigte sich mit dem Besticken einer Handtasche. Ich begann mit dem Unterricht.

(...)

In ihrer ganzen Haltung war sie, wie sie stickend da vor mir saß, noch immer auf der Hut. Ihr Äußeres vermittelte zu gleicher Zeit und mit gleicher Klarheit Wachsamkeit und Gelassenheit - eine seltene Kombination ! Während ich sie betrachtete, war ich gezwungen, wie schon so oft zuvor,  ihrer Klugheit, ihrer erstaunlichen Selbstbeherrschung den Tribut unfreiwilliger Bewunderung zu zollen. Sie hatte gespürt, dass ich ihr meine Wertschätzung entzogen hatte. Sie hatte Verachtung und Kälte in meinen Augen gelesen, und für sie, die nach dem Beifall ihrer Umgebung lechzte, die danach dürstete, dass alle von ihr eine gute Meinung hatten, für sie musste ein solche Entdeckung eine schmerzhafte Verletzung darstellen. (...) Mit welch stiller Würde sie jetzt dasaß, fast mir zur Seite, aufrecht gehalten durch die Kraft ihres Verstandes; kein Zittern in ihrer etwas zu langen, doch scharfen Oberlippe, kein Anzeichen jämmerlicher Beschämtheit auf ihrer strengen Stirn.

"Da drinnen ist Metall", sagte ich zu mir, während ich hinsah. "Ich wollte, dort wäre auch Feuer, eine lebhafte Hitze, um den Stahl zum Glühen zu bringen - dann könnte ich sie lieben!"

Alsbald entdeckte ich, dass sie wusste, dass ich sie beobachtete, denn sie rührte sich nicht, sie hob nicht ihre listigen Augenlider, sondern sie sah lediglich von ihrer Stickarbeit hinab auf ihren kleinen Fuß, der aus den weichen Falten ihres purpurnen Merinokleids hervorlugte. Von dort kehrte ihr Blick zu ihrer Hand zurück, die weiß wie Elfenbein war, mit einem funkelnden Granatring am Zeigefinger und einer hellen Spitzenrüsche am Handgelenk. Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung drehte sie den Kopf, was ihre nußbraunen Locken in graziöse Wallungen brachte. Aus diesen unscheinbaren Anzeichen las ich heraus, dass es der Wunsch ihres Herzens war, die Absicht ihres Verstandes,  das Wild zurück zu locken, das sie verscheucht hatte.

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Man braucht nur eine Insel

Allein im weiten Meer.

Man braucht nur einen Menschen,

den aber braucht man sehr.

(Mascha Kaléko)

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Wer die See nicht kennt, weiß nichts von der Macht die sie auf denjenigen ausübt, der seiner Seele noch nicht verboten hat, mit ihr zu sprechen.

(Karl May, "Und Friede auf Erden")

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Der menschliche Geist lässt sich die Gedanken anderer am liebsten mit dem Löffel eingeben. Wird ihm diese Nahrung vorenthalten beginnt er  -  widerwillig genug  -  selbst zu denken. Dieses Denken birgt eine gewisse ursprüngliche Kraft.....

(Agatha Christie,    --  ?  --)