"Stolz und Vorurteil" (S.Fischer, Frankfurt am Main, Februar 1999)
"Der Professor" ( insel taschenbuch 1354 - Insel Verlag Ffm und Leipzig 1991)
(Die Situation: Ein englischer Lehrer, der in einem Brüsseler Mädchenpensionat Englisch lehrt. Die Hospitation des Unterrichts durch die Direktorin war Normalität und diente darüber hinaus der Erhaltung der Disziplin. - Anm. Otto F.)
Seite 152 : ....
Der Verstand war mein Arzt: Er begann damit, dass er nachwies, dass die Siegestrophäe, die ich verfehlt hatte von geringem Wert war. Er gab zu, dass Zoraïde mir rein äußerlich vielleicht gefallen hätte, aber er versicherte mir, dass sich unsere Seelen nicht im Einklang befanden und dass sich aus der Vereinigung ihres Geistes mit dem meinen zwangsläufig Zwietracht ergeben hätte. Dann bestand er auf der Unterdrückung alles unzufriedenen Selbstmitleids und befahl mir statt dessen, mich darüber zu freuen, dass ich den Stricken einer Falle entkommen war. Seine Arznei tat mir gut. Ich fühlte deren kräftigende Wirkung, als ich am nächsten Tag die Direktorin traf. Der starke Effekt auf die Nerven hielt an: kein Zittern, kein Stocken; ich war in der Lage ihr mit Festigkeit gegenüberzutreten und mit Leichtigkeit an ihr vorüberzugehen. Sie hatte mir die Hand hingestreckt - die ich nicht zu sehen beliebte. Sie hatte mich mit einem bezaubernden Lächeln begrüßt - das in mein Herz fiel wie Licht auf einen Stein. Ich ging weiter zu meinem Podium, und sie folgte mir. Ihr Blick war auf mein Gesicht geheftet und verlangte von jeder Linie die Bedeutung meines veränderten und gleichgültigen Verhaltens. "Ich werde ihr eine Antwort geben", dachte ich, und indem ich ihrem Blick uneingeschränkt begegnete, ihn festhielt und sie fixierte, warf ich ihr aus meinen Augen einen Blick zu, in dem kein Respekt lag, keine Liebe, keine Zärtlichkeit, keine Galanterie; wo selbst bei genauester Analyse nichts als Verachtung, Dreistigkeit und Ironie zu entdecken waren. Ich zwang sie ihn zu ertragen und es zu spüren. Ihre gleichmütige Kontenance veränderte sich nicht, aber ihre Gesichtsfarbe wurde intensiver, und sie kam wie fasziniert auf mich zu. Sie betrat das Podium und stellte sich dicht neben mich. Sie hatte nichts zu sagen. Ich wollte sie nicht von ihrer Verlegenheit und Verwirrung erlösen und blätterte deshalb nachlässig in einem Buch.
"Ich hoffe, Sie fühlen sich heute gut erholt", sagte sie mit leiser Stimme.
"Und ich, Mademoiselle, hoffe, dass Sie sich letzte Nacht nicht erkältet haben, als Folge Ihres späten Spaziergangs im Garten."
Mit ihrer schnellen Auffassungsgabe verstand sie mich sofort. Ihr Gesicht wurde eine Idee bleicher, wirklich nur eine Idee, aber kein Muskel in ihren eher markanten Zügen bewegte sich; und ruhig und beherrscht verließ sie das Podium, nahm gelassen nicht weit weg von mir Platz und beschäftigte sich mit dem Besticken einer Handtasche. Ich begann mit dem Unterricht.
(...)
In ihrer ganzen Haltung war sie, wie sie stickend da vor mir saß, noch immer auf der Hut. Ihr Äußeres vermittelte zu gleicher Zeit und mit gleicher Klarheit Wachsamkeit und Gelassenheit - eine seltene Kombination ! Während ich sie betrachtete, war ich gezwungen, wie schon so oft zuvor, ihrer Klugheit, ihrer erstaunlichen Selbstbeherrschung den Tribut unfreiwilliger Bewunderung zu zollen. Sie hatte gespürt, dass ich ihr meine Wertschätzung entzogen hatte. Sie hatte Verachtung und Kälte in meinen Augen gelesen, und für sie, die nach dem Beifall ihrer Umgebung lechzte, die danach dürstete, dass alle von ihr eine gute Meinung hatten, für sie musste ein solche Entdeckung eine schmerzhafte Verletzung darstellen. (...) Mit welch stiller Würde sie jetzt dasaß, fast mir zur Seite, aufrecht gehalten durch die Kraft ihres Verstandes; kein Zittern in ihrer etwas zu langen, doch scharfen Oberlippe, kein Anzeichen jämmerlicher Beschämtheit auf ihrer strengen Stirn.
"Da drinnen ist Metall", sagte ich zu mir, während ich hinsah. "Ich wollte, dort wäre auch Feuer, eine lebhafte Hitze, um den Stahl zum Glühen zu bringen - dann könnte ich sie lieben!"
Alsbald entdeckte ich, dass sie wusste, dass ich sie beobachtete, denn sie rührte sich nicht, sie hob nicht ihre listigen Augenlider, sondern sie sah lediglich von ihrer Stickarbeit hinab auf ihren kleinen Fuß, der aus den weichen Falten ihres purpurnen Merinokleids hervorlugte. Von dort kehrte ihr Blick zu ihrer Hand zurück, die weiß wie Elfenbein war, mit einem funkelnden Granatring am Zeigefinger und einer hellen Spitzenrüsche am Handgelenk. Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung drehte sie den Kopf, was ihre nußbraunen Locken in graziöse Wallungen brachte. Aus diesen unscheinbaren Anzeichen las ich heraus, dass es der Wunsch ihres Herzens war, die Absicht ihres Verstandes, das Wild zurück zu locken, das sie verscheucht hatte.
----------------------------------------------------------------------
Man braucht nur eine Insel
Allein im weiten Meer.
Man braucht nur einen Menschen,
den aber braucht man sehr.
(Mascha Kaléko)
-------------------------------------------------------------------
Wer die See nicht kennt, weiß nichts von der Macht die sie auf denjenigen ausübt, der seiner Seele noch nicht verboten hat, mit ihr zu sprechen.
(Karl May, "Und Friede auf Erden")
-------------------------------------------------------------------
Der menschliche Geist lässt sich die Gedanken anderer am liebsten mit dem Löffel eingeben. Wird ihm diese Nahrung vorenthalten beginnt er - widerwillig genug - selbst zu denken. Dieses Denken birgt eine gewisse ursprüngliche Kraft.....
(Agatha Christie, -- ? --)